treppenhaus giesserstrasse chemnitz

Casa Rossa Chemnitz ist Bau der Woche bei german-architects


03/2021

Das Mehrfamilienhaus Casa Rossa auf dem Chemnitzer Sonnenberg ist als Bau der Woche auf dem e-magazin von german-architects publiziert. Annette Fest und Christian Bodensteiner beantworten die Fragen zum Projekt. 

hier der link zum Bau der Woche bei german-architects

Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Nach 30 Jahren Leerstand waren etliche Decken eingebrochen und die Nässe hatte sich den Weg durch alle Geschosse nach unten gebahnt. Als wir das Haus das erste Mal betraten, fühlten wir uns an die morbiden Bilder von Tarkowskis Film „Stalker" erinnert. Im zweiten Obergeschoss wurzelte eine Birke an der Fassade und innen wuchs der Farn. Bevor also die Sanierung beginnen konnte, musste zunächst die einsturzgefährdete Bausubstanz gesichert werden.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Abgesehen von ein paar improvisierten Installationen aus DDR-Zeiten hatten wir es im Wesentlichen mit einer Original-Bausubstanz von 1910 zu tun. Uns interessierte, mit welchen einfachen Mitteln es möglich ist, die Bausubstanz weitestgehend beizubehalten, ihre Qualitäten herauszuarbeiten und dennoch das Gebäude in die heutige Zeit zu versetzen. Dabei spielten wir mit dem Gegensatz von Enge und Weite, was auch durch das Zusammenlegen zweier Wohnungen je Etage möglich wurde. Während die Bäder recht schmal sind, sind die Wohnräume an der Straßenseite statisch so ausgelegt, dass sie ohne aussteifende Zwischenwände auskommen und sich über die gesamte Gebäudebreite erstrecken können.

Um kein Zimmer für die Bäder opfern zu müssen, wurden die früheren, vom Zwischenpodest des Treppenhauses zugänglichen Toiletten, den Bädern der Wohnungen zugeordnet und ihre Decken auf das Niveau der Wohnungen angehoben. Von der hier eingelassenen Badewanne blickt man nun durch ein raumhohes Fenster in die Krone des Ahornbaums im Garten.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?
Der Chemnitzer Sonnenberg ist von Straßenzügen geprägt, die fast ausnahmslos aus Gründerzeitbauten bestehen. Trotz dieser beeindruckenden Bausubstanz und der unmittelbar ans Stadtzentrum grenzenden Lage haftet dem Viertel noch immer der Ruf des heruntergekommenen Arbeiterviertels an, das es zweifellos einmal war.

Uns hat die Idee gefallen, hier einen neuen Akzent zu setzen, indem wir die Ziegelfassade freilegen und mit einer hellen Lasur überziehen. (Fast) alles alt also und schon immer so dagewesen, aber nun mit all den Unregelmäßigkeiten und Blessuren des vergangenen Jahrhunderts. Die Lasur nivelliert die Farbunterschiede und verleiht der eigenwilligen Fassade von 1910 eine neue Noblesse. Erst bei intensiverer Betrachtung erschließen sich nach und nach die Unregelmäßigkeiten im Rhythmus der Fassade und mutmaßliche Kriegsschäden.

Die rahmenlosen Fenster greifen das historische Vorbild des Quartiers auf, entfalten aber durch den Verzicht auf Kämpfer eine noch filigranere Wirkung.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?
Die Idee, die Bestandsziegel zum leitenden Gedanken des Entwurfs zu machen, kam uns sehr früh, scheiterte aber zunächst aus bauphysikalischen Gründen. Nachdem wir dann die Detaillösungen mit den zugehörigen Bauteilberechnungen entwickelt hatten, bekam der ursprüngliche Entwurfsgedanke neuen Aufwind: Im dritten Obergeschoss wurden lediglich die zwei hofseitigen Zimmer und die Bäder verputzt. Der Wohnbereich erstreckt sich hier ohne Zimmertüren bis in den Flur und ist komplett in Sichtmauerwerk gehalten.

Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Die Abbruchziegel des alten Waschhauses wurden recycelt und an anderer Stelle neu vermauert. So gelang es, die Reichsformat-Ziegel im ganzen Haus sichtbar zu machen. Im Zusammenspiel mit den präzisen, neuen Einbauten wurden die Ziegelwände bewusst „ruppig" gelassen. In der Rohbauphase kommen einem auch mal Zweifel, wie weit man da gehen kann. Wenn dann aber das Parkett liegt, ist der Kontrast wohltuend und die Ziegelwand hat nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Den Wohnungen gibt dieses Flair des Unperfekten eine Note, die es nur im Altbau geben kann.